Das Narrenschiff

Die Herrschaft des Königs von Irrwater steht unter keinem guten Stern: Erst wird er von seinem intriganten Minister gestürzt und wandert in den Kerker, später muss er mit ansehen, wie ein Erdbeben das Königreich buchstäblich in zwei Hälften spaltet. Da bietet es wenig Trost, dass sich das Land letztlich als ein computergesteuertes Narrenschiff entpuppt. Denn für die Bewohner dieses bizarren Reichs fühlen sich die immer fiebrigeren Fantasien des Megacomputers verdammt real an…

Auf dieses Comic-Highlight mussten deutschsprachige Leser lange warten. Das Narrenschiff, eines der vielleicht schönsten Comicmärchen überhaupt, liegt jetzt endlich in einer Gesamtausgabe komplett vor. Vor vielen Jahren hatten sich bereits der alte Splitter-Verlag und Kult Editionen an der frankobelgischen Serie versucht, ohne jedoch in ihrer Veröffentlichung über die ersten vier Alben hinaus zu kommen. Der nun vom aktuell agierenden Splitter-Verlag vorgelegte Band beinhaltet ganze acht Originalalben (alle sieben reguläre Ausgaben und einen Sonderband) und gibt den Lesern somit erstmals die Chance, das Werk des französischen Künstlers Turf in seiner Gänze genießen zu dürfen.

Allein was den haptischen Lesespaß angeht, stellt dies übrigens einer Erfahrung dar, die an die Grenze des Erträglichen geht: Die großformatige, überlange Publikation kommt als eher unhandliches „Coffee Table Book“ daher, das man aufgrund seines enormen Gewichtes nicht mal eben mit an den Strand mitnehmen möchte und das auch beim Goutieren auf der Couch oder im Bett schnell zu Handkrämpfen führt. Was bei der grundsätzlich vorzüglichen Verarbeitung der Splitter-Gesamtausgabe natürlich ein Luxusproblem darstellt. Und nicht nur das, der Preis von Das Narrenschiff ist, im Verhältnis gesehen, auch noch sehr gering.

In Turfs Meisterwerk dreht sich alles um die obskuren Abläufe im fantastischen Königreich Irrwater, einem surrealen Ort und Heimat zahlloser illustrer Gestalten. Eines Tages wird König Clement XVII. von seinem engsten Vertrauten, dem Großen Koordinator, gestürzt und mitsamt seiner Minister in den Kerker verfrachtet. Der Koordinator ernennt sich selbst zum neuen König, wird aber fortan als Pechvogel und vermeintlicher Schurke dieser Geschichte von einem geklonten Prinzen heimgesucht, welcher einfach nicht tot zu kriegen ist. Schließlich entdeckt er, dass sich hinter Irrwater eine größere Welt verbirgt, die die Geschehnisse und die Bewohner direkt beeinflusst. Und während ein Erdbeben Irrwater in zwei Hälften teilt, kommt ein unfassbares Geheimnis aus der Vergangenheit des Königreichs ans Licht.

Das Narrenschiff ist ein wunderschönes Märchen, das von seiner unkonventionellen Grundidee, aber noch viel mehr von seinen schrulligen Figuren und deren Eigenarten lebt. Da ist z.B. der liebenswerte König Clement, ein kleinwüchsiger, zottelbärtiger Kerl, der bevorzugt in einem rot gestreiften Nachthemd und Socken herumläuft. Überhaupt ist das von ihm regierte Reich das der Streifen. Abwegig wäre für ihn die Vorstellung einer gepunkteten Herrschaft. Prompt wird diese nach dem erfolgreichen Putsch von seinem Nachfolger eingeführt, sehr zur Empörung Clements. Ein anderes Beispiel sind die zwei gewöhnungsbedürftig uniformierten Polizisten, die bei der Ermittlung eines angeblichen Kürbisschmuggels und auf der Jagd nach einem Monster, immer wieder auftauchen und die ganze Welt von Irrwater erkunden.

Turf beweist bei der Inszenierung all dieser Figuren ein ebenso gutes Gespür wie bei der Gestaltung seiner Fantasywelt, die durch schräge Erfindungen, geheime Passagen und absurde Lokalitäten geprägt ist. Bei der Ausgestaltung des Plots zeigt sich auch, wie abwechslungsreich dieser ist: Die Schauplätze ändern sich ständig, bestimmte Handlungsfäden laufen parallel auf mehreren Ebenen und die Erzählstruktur bleibt immer unvorhersehbar.

Der französische Künstler zeigte bei der Arbeit an dieser Serie viel Liebe zum Detail, was in den tollen Bildern zum Ausdruck kommt. Sein Stil passt hervorragend zu diesem irrwitzigen Werk, vor allem dann, wenn er mit einfachen Mitteln die gängige Panelstruktur aufbricht. An diesen Stellen imponiert Turf mit brillanten Einfällen, die es wirklich lohnt, von jedem selbst entdeckt zu werden. Um wirklich kein Detail zu verpassen, bietet sich, jetzt da die Serie komplett vorliegt, das mehrmalige Lesen geradezu an.